Donnerstag, 26. Januar 2017

Taffe Mudda vs. die beste Ausrede der Welt



Nach einem halben Jahr sauberem Kraftausdauer- und Techniktraining – Wahnsinn, wie perfekt ich jetzt Übungen ausführen kann, bei denen ich vorher aufgrund des zu hohen Gewichts einfach mal gepfuscht habe – wurde das letzte Drittel der Schwangerschaft im wahrsten Sinne des Wortes beschwerlich: Das zusätzliche Gewicht drückt auf die Blase, ich bin bei den einfachsten Dingen außer Atem, der Kreislauf zickt, der Puls ist hoch, mir ist sooo warm, ich verrecke gleich. 

Mit fast 20 kg mehr auf der Waage reichen die Treppen hoch ins Fitnessstudio eigentlich als Training. Schuhe und Socken zu wechseln ist ohne fremde Hilfe kaum mehr möglich. Das Prinzip der progressiven Belastungssteigerung funktioniert an der Klimmzugmaschine, ohne dass ich an den Gewichten schrauben musste. Trotzdem habe ich bis zum 9. Monat TôsôX unterrichtet, bis 8 Tage vor der Geburt im Fitnessstudio Kraftausdauer trainiert und bin auch zur letzten Vorsorgeuntersuchung in der 38. Woche noch die 6 km mit dem Fahrrad gefahren - wenn auch nicht mehr ganz so schnell und unter Protest des Bauchbewohners, der sich wohl durch meine sicher komisch anmutenden Bewegungen eingeengt gefühlt hat.  Im Studio erntete ich überraschenderweise nicht nur Bewunderung: „Muss das sein, dass die so schwanger noch trainiert“ beschwerte sich ein Mitglied an der Theke – „Ähm ja, muss sein, woher sonst sollen mein Rumpf, mein Rücken und meine Beine die Kraft nehmen, um dieses zusätzliche Gewicht durch den Alltag zu stemmen?“ Die Blicke meiner Freihantelbereich-Mitbenutzer haben mich irgendwann richtig genervt. Aufgegeben habe ich letztendlich, weil ich einfach keine Hose und kein Shirt mehr hatte, die ich zum Training anziehen konnte. Ernsthaft brauchbare Sportbekleidung für Schwangere? Fehlanzeige! Bei H&M konnte ich im Sale günstig Yoga-Klamotten in Gr. L kaufen, das ging eine Weile ganz gut, am Ende hat das aber auch nicht mehr geholfen. 

Wer mich gefragt hat, ob es denn für das Baby ok wäre, jetzt noch zu trainieren, hat gerne eine Antwort bekommen. Fakt ist nämlich: als gut ausgebildete Trainerin mit vielen Jahren Erfahrung wusste ich zu jedem Zeitpunkt, was ich tat. Probleme wie Schlafstörungen oder Rückenschmerzen hatte ich auch in der 39. Schwangerschaftswoche noch nicht wirklich. Mal abgesehen davon, dass ich alle vier Stunden pinkeln musste (dank Beckenbodentraining  hatte aber ich darüber die Kontrolle und nicht meine Blase) und es keine Position mehr gab, in der ich gut sitzen oder liegen konnte. Aber hey, ich trage ein Kind mit mir rum, das übrigens eine sehr niedrige und ausgeglichene Herzfrequenz bei jedem CTG bewiesen hat – selbst im Kreißsaal noch. Sportlerpuls schon vor dem ersten Sport?
Eine Geburt ist eine Herausforderung. Ohne allzu tief ins Detail gehen zu wollen, ich war froh um jedes Quäntchen Kraft, um jedes bisschen Ausdauer, um jedes Gefühl für jeden einzelnen meiner Muskeln, um meine geschulte Atmung und um das Wissen, dass hinter dem Punkt, an dem man meint, es geht nicht mehr, immer noch Reserven liegen. Ob ich so selbstsicher und mutig in den Kreißsaal spaziert wäre, wenn ich die Grenzen aber auch die Fähigkeiten meines Körpers durch den Sport nicht schon vorher kennengelernt hätte, ist schwer zu beurteilen. Ob ich so unbeschadet und schnell da wieder rausgegangen wäre, wenn ich mich körperlich und mental nicht so „professionell“ darauf vorbereitet hätte, kann man natürlich auch nicht sagen. Von allen sportlichen Herausforderungen, denen ich mich bislang gestellt habe, war das jedenfalls die anstrengendste und ich bin froh, dass ich dafür so hart trainiert habe. Eine starke Beckenboden- und Rumpfmuskulatur führt also nicht dazu, dass man sich doppelt quälen muss (blödes Ammenmärchen und gern gesehene Ausrede trainingsfauler Frauen!), sondern hilft ungemein beim Pressen – und ich rede hier nicht von der „Arnold Press“.

Danach ist natürlich erst einmal Pause angesagt – körperlich gesehen die schlimmste Zeit, die ich je hatte. Wie kann man nur mit so schwachen Rückenmuskeln leben wollen? Nach vier Wochen hatte ich mein Ausgangsgewicht von vor der Schwangerschaft, aber gefühlt 20 kg Muskelmasse verloren. Alles tut weh. Zu Essen gibt es fast nur Kohlenhydrate, gesund Kochen ist mit einem Baby am Arm nun mal schwer. Die Lebkuchen sind in greifbarer Nähe und da es bereits 14 Uhr ist und ich immer noch nicht gefrühstückt habe, müssen sie dran glauben. Her damit, ich habe nur zwei Stunden geschlafen, ich habe Hunger, ich bin mit den Kräften am Ende, ich habe mir das jetzt verdient! Im Krankenhaus reicht man mir zum Transfett (= Margarine) auf ungetoastetem Toast, zur Marmelade, die nur nach Zucker schmeckt und zum Erdbeerjoghurt, über dessen Zuckeranteil sich die Darmpilze wohl am meisten freuen, eine Broschüre in die Hand zum Thema „Gesunde Ernährung in der Stillzeit“, wo über die Bedeutung von Nähr- und Ballaststoffen philosophiert wird – wollt ihr mich verarschen?

Sechs Wochen nach der Geburt dann die erlösende Freigabe der Ärztin, ab ins Studio, einmal den ganzen Körper wieder warm bekommen. Schon nach der ersten Trainingseinheit sind die Rückenschmerzen besser und es ergibt auch wieder mehr Sinn, sich auf die Suche nach den Proteinen im Essen zu machen – auch wenn das alles wirklich nicht so einfach ist, wie man sich das vorher vorstellt. „Meal prep“ bekommt eine ganz neue Bedeutung und ein paar gute Supplemente im Haus zu haben, war noch nie so wertvoll. Ein Eiweiß-Shake hält halt doch eine Weile satt. Noch vor der Geburt habe ich mich in einem Studio angemeldet, das ich mit den Öffentlichen gut erreichen kann (ich musste meinen Firmenwagen abgeben – nach 18 Jahren mit eigenem Fahrzeug warte ich also auf den Bus) und in dem es eine Kinderbetreuung gibt. Die nehmen die Babys schon mit sechs Wochen – super! Die Rechnung sollte man aber nicht ohne Berücksichtigung der Hormonsituation machen, die auf einmal so eine ganz andere ist „Ich kann mein armes, kleines Baby doch nicht schon einer Fremden überlassen!“ – Dem Baby scheint das egal zu sein, er schläft beim ersten Mal einfach auf seiner Decke bis ich mit dem Training fertig bin. Es wäre trotzdem gelogen, wenn ich behaupten würde, dass es kein absoluter Kraftakt ist, überhaupt erst an die Geräte zu kommen. Wenn das Kind zu lange und zu oft am Tag unterwegs ist, wird es irgendwann gereizt, also kommen schon mal nur die Tage in Frage, an denen kein Rückbildungskurs, Musikkindergarten, Babygruppe, Kinderarzt, Hebammen- oder sonstiger Besuch auf dem Programm steht. Einen Tag vorher rufe ich an und frage, ob für morgen ein Platz in der Kinderbetreuung frei ist. Um wie viel Uhr? Ich komm um 10! Ausgerechnet an diesem Tag würde der Kleine dann aber bis 9 schlafen, weil er die halbe Nacht eine Party gefeiert hat. So müde wie ich bin, wäre ich sonst niemals zum Training gegangen – das macht doch nach 3 Stunden Schlaf (und die nicht mal am Stück) eigentlich gar keinen Sinn. Pech, ich wecke das Baby um halb 8, Sport- und Wickeltasche habe ich schon am Abend zuvor gepackt. Los geht’s: Kind stillen, wickeln und anziehen – „oh bist Du schick heute“ – er kotzt sich an. Nochmal umziehen, mich umziehen, ich muss mal pinkeln – geht nicht, Kind kotzt auch den zweiten Pulli an, umziehen, rein in den Kinderwagen, er brüllt, wieder raus, nochmal Windel wechseln, jetzt hat er sicher gleich wieder Hunger, ab in den Wagen, dann brüllt er halt mal kurz, runter zum Bus, dieser kommt zu spät, U-Bahn-Anschluss versäumt. Oh nein, ich habe doch gesagt, ich komme um 10 – das wird eng, wo ist der verdammte Aufzug, mit dem man vom U-Bahn-Steig nach oben kommt? Endlich, Fitnessstudio erreicht. Aber was ist das? Vor dem Eingang zum Aufzug (das Studio liegt im dritten Stock) ist eine Treppe – ist mir nie so bewusst aufgefallen. Kind also die Treppe hochgetragen, Kind brüllt oben, weil Mama wieder weggeht, um auch den Kinderwagen hochzutragen. Wo sind die ganzen Pumper, wenn man sie braucht? Baby wieder in den Wagen, sich mit drei anderen Trainierfreudigen in den Aufzug gequetscht. Leute, dass es auch echt nicht zu peinlich ist, euch da mit reinzuquetschen, wenn ihr doch ins FITNESSSTUDIO wollt? Und oben stellt ihr euch dann auf den Crosstrainer, um euch aufzuwärmen? Oben angekommen erst mal rein in die Kinderbetreuung – „Darf ich hier irgendwo stillen? So, fertig. Könnte sein, dass er kotzt – ich entschuldige mich jetzt schon mal.“  Eine Stunde Training, das Baby schläft, ich muss ihn für die Heimreise wecken, die Geschichte geht wieder ganz genau so von vorne los. Damit ist ein dreiviertel Arbeitstag vergangen und ich habe zuhause noch nicht mal meine Sporttasche ausgeräumt, da wird schon wieder nach mir verlangt.

Ja, es ist anstrengend und ich schaffe es nicht mehr sechsmal die Woche zum Training. Aber ich bin ja jetzt auch jeden Tag eine Stunde mit dem Kinderwagen draußen und mache mir einen Spaß draus, andere Spaziergänger zu überholen, damit sie sehen, wie lahmarschig sie unterwegs sind. Und ich habe ein Baby, das am besten im Tragetuch schläft, Lunges und Squats sind dann die einzigen Möglichkeiten, um irgendetwas aufzuheben, wegzuwerfen oder abzuwischen. Da der kleine Wonneproppen zulegt wie ein Weltmeister  ist da wieder das Prinzip der progressiven Belastungssteigerung – wunderbar! Abgesehen davon schenkt mir das Stillen 500 kcal extra am Tag (zwei Lebkuchen sind also locker drin) und nein, Krafttraining führt nicht dazu, dass die Milch wegbleibt – um auch gleich mit dieser blödsinnigen Geschichte aufzuräumen!

Ach und hey Google, hier kommt was, was noch nicht mal Du weißt: Wenn man seinen Pectoralis ordentlich schrottet vor lauter Freude, dass man endlich wieder richtig Gewichte in die Hand nehmen darf, dann ist das, was am nächsten Tag Schmerzen macht, keine Mastitis! Der Druck kommt einfach nur von beiden Seiten und das tut eben weh. Deine Suchergebnisse, die Du mir zu den Begriffen „Brustmuskelkater“ und „Stillen“ auswirfst, kannst Du den Muddis auftischen, die 15 Jahre nach der Geburt ihres Kindes ihre überschüssigen Pfunde immer noch auf den Nachwuchs schieben, aber nicht einer „taffen Mudda“, die postpartal Pumpen geht!

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